Auditive Erfahrungen: Was uns die Ohren über die Welt mitteilen.

Published On: 29. September 2023|

«Sich etwas hinter die Ohren schreiben.»

«Bis über beide Ohren verliebt sein.»

«Es ist schön, deine Stimme zu hören.»

«Das Gras wachsen hören.»

Diese bekannten Redewendungen und viele mehr sind in unserem Sprachgebrauch fest verankert. Sie verdeutlichen spielerisch, wie der auditive Sinn im Alltag Orientierung bietet, Gefühle vermittelt und/oder eine Haltung preisgeben kann.

Blicken wir aber ganz kurz auf die wichtigsten theoretischen Hintergründe:

Über das Ohr nehmen wir Sprache wahr, aber auch Geräusche sowie mitschwingende Emotionen. Auditive Reize können als angenehm oder unangenehm (z.B. Lärm) eingeordnet werden. Hören ist sehr flüchtig. Reize müssen rasch verarbeitet und zu einem Gesamtbild konstruiert werden. Ein Nachhören ist nicht möglich. Geräusche können rasch missinterpretiert werden und Unsicherheit auslösen. Menschen mit Hörbeeinträchtigungen unterliegen dieser Unsicherheit öfters. Orientierung kann mittels der Stimme oder auch über audio-rhythmische Reize erfolgen (z.B. klopfen). Besonders in ungewohnten Situationen sind bekannte Geräusche wie z.B. ein bekanntes Lied immens wichtig, um Ängste zu reduzieren (Bienstein & Fröhlich, 2021).

Betrachten wir hierzu ein spezifisches Angebot, nämlich die Musik: Je nach Musikart werden verschiedene Hormone abgegeben – Adrenalin bei schneller und aggressiver Musik, Noradrenalin bei sanften und ruhigen Klängen. Letztere können so zum Beispiel die Ausschüttung von Stresshormonen verringern und die Konzentration von schmerzkontrollierenden Betaendorphinen im Körper erhöhen. Auch das für Gefühle zuständige limbische System im Gehirn wird durch Musik angeregt. Musik kann deshalb Emotionen auslösen und beim Zuhörer Gänsehaut verursachen. Außerdem verbindet sich Musik manchmal mit persönlichen Ereignissen. Wird sie wieder gehört, dann kommen auch die Erinnerungen an erlebte Situationen wieder, genauso wie dabei empfundene Gefühle (Planet-Wissen, 2023).

Passend dazu möchte ich euch ein von mir erlebtes auditiv orientiertes Erlebnis erzählen. Es stammt aus dem Fachbericht über den Einsatz von personalisierter Musik und wurde damals durch mich verfasst:

Die Praxisbegleiterin Basale Stimulation (PBS) hat sich in die Pflegeplanung eingelesen und die Musikanwendung namens Incanto bei Herr Birkenmeier (Name geändert) vermerkt. Herr B. ist sehr in sich zurückgezogen und spricht wenig. Er hat eine mittelschwere bis schwere Demenz. Oft ist er traurig und fühlt sich einsam. Er schätzt den direkten Kontakt sehr. In der Gruppe fühlt er sich meist unwohl. Nun bereitet die PBS alle Utensilien vor: Personalisierter MP3-Player von Herr B. und zwei Kopfhörer mit Verbindungskabel. In der Pflegeoase gestaltet sie den Raum ruhig und angenehm. Nun holt sie Herr B. dazu und gemeinsam setzen sie sich einander zugewandt hin. Herr B. kennt die Anwendung bereits und setzt sich die Kopfhörer selbständig auf. Ein Lächeln erhellt sein Gesicht und die PBS spiegelt seine Mimik. Sie hat den MP3-Player bereits vorher auf dessen Funktion kontrolliert und weiss über das erste Lied Bescheid, um gleich anknüpfen zu können. Es ist ein französisches Lied. Beim Anlaufen der ersten Strophe schliesst Herr B. genüsslich die Augen und sagt: “Oh da war ich in Paris. Geschäftlich. Und abends haben wir viel getanzt. In Paris hatte es viele schöne Frauen und das Tanzen war wundervoll.” Die PBS antwortet darauf hin: “Ah Herr Birkenmeier, Sie waren ein guter Tänzer.” Herr B. steht darauf hin langsam auf und nimmt die Hand von ihr: “Ich bin immer noch ein Tänzer!” Und er lacht dabei. Gemeinsam bewegen sie sich im Raum und Herr B. zeigt sichtlich Freude daran, sein altes Hobby wieder aufblühen zu lassen. Sitzend unterhalten sich beide über vergangene Tanzeinlagen von Herr B und seinen Erlebnissen in Paris als Geschäftsmann. Die Augen von Herr B. leuchten dabei und er ist ganz versunken in der Erzählung. Am Ende der Anwendung bedankt sich Herr B. und er hat dabei leichte Tränen in den Augen. Er gibt der PBS einen festen Händedruck und sagt: “Das müssen wir unbedingt wiederholen.” Während er dies sagt, hat er eine aufrechte Haltung und die Freude ist ihm am Gesicht abzulesen. Im Verlauf des Nachmittags wirkt er aufgestellt und positiv. Immer wenn er die PBS beim Vorbeigehen sieht, muss er lachen und winkt ihr zu. Die erlebten Emotionen haften an ihm und fördern sein Erinnerungsvermögen.

Wer sich gerne mit dem Thema Hören noch mehr beschäftigen möchte, empfehle ich die Kurzdokumentation auf Arte zum Thema «Wie beeinflussen uns Geräusche und Klänge – Hören wir das Gleiche?». = Link

Dieses und viele weitere Erlebnisse haben meine basale Arbeit im Kontext der auditiven Wahrnehmung geprägt. Somit wünsche ich euch eine «ruhige» Restwoche und verabschiede mich – «wir hören uns».

Text: Rena Ruedin

Quellen:

Arte. Hören wir das Gleiche? Abgerufen am 23.09.2023 in https://www.youtube.com/watch?v=MAI791QTAgA

Bienstein & Fröhlich (2021). Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. Hogrefe.

Planet-Wissen. Macht der Musik. Abgerufen am 23.09.2023 in https://www.planet-wissen.de/kultur/musik/macht_der_musik/index.html

Ruedin & Meier (2021). Fachbericht über den Einsatz von personalisierter Musik. News IFBS (Link).

 

 

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