Olfaktorische Erfahrungen: Was unsere Nase uns über die Welt erzählt.
«Jemand hat den richtigen Riecher.»
«Eigenlob stinkt.»
«Du kannst verduften.»
«Der Nase nach gehen.»
Diese bekannten Redewendungen und viele mehr sind in unserem Sprachgebrauch fest verankert. Sie verdeutlichen spielerisch, wie der Riechsinn im Alltag Orientierung bieten, Gefühle vermitteln und/oder eine Haltung preisgeben kann.
Blicken wir aber ganz kurz auf die wichtigsten theoretischen Hintergünde:
Das Riechen dient primär der frühzeitigen Erkennung von Situationen, Materialien oder Menschen. Es greift dem Schmecken voraus und kann auch eine warnende Funktion einnehmen (Bienstein & Fröhlich, 2021).
Der Geruchssinn schützt uns z.B. vor verdorbenem Essen, Gas und Feuer. Er beeinflusst die Partnerwahl und ist eng mit unseren Gefühlen und Erinnerungen verbunden. Ein gesunder Mensch kann mehr als 10.000 verschiedene Duftnoten unterscheiden. Wer sich gezielt Düften aussetzt und versucht, diese zu kategorisieren, steigert seine Wahrnehmung und kann die Geruchsinformationen besser verarbeiten und benennen (Planet Wissen, 2023).
Passend dazu möchte ich euch ein von mir erlebte olfaktorische Geschichte erzählen:
In der Ausbildung zur Praxisbegleiterin Basale Stimulation nach Prof. Dr. Fröhlich® vertieften wir uns in der Lerngruppe ebenso mit dem Thema der Düfte. Während der Gruppendiskussion teilte jede Person ihre Erfahrungen mit verschiedenen Gerüchen. So kamen wir auf den Duft Lavendel zu sprechen. Meine Kollegin berichtete davon, dass sie oft und gerne diesen Duft bei der Arbeit einsetzte. Lavendel hat eine beruhigende Wirkung und wird daher oft bei entspannenden Angeboten eingesetzt.
In mir zeigte sich aber ein ungutes Gefühl und ich verspürte beim Gedanken an Lavendel Unbehagen. Wie bereits erwähnt, sind Gerüche eng mit Gefühlen und Erinnerungen verknüpft. In meinem zweiten Ausbildungsjahr der Pflege vor fünfzehn Jahren war es nämlich normal, Lavendelöl-Tropfen in die Einlage der Bewohnenden zu geben (gegen unangenehme Gerüche). Meine ersten und prägendsten Erfahrungen in der Unterstützung bez. Ausscheidungen waren also mit dem Duft Lavendel assoziiert. Gans salopp ausgedrückt: Ich verknüpfte Lavendel mit Stuhlgang… Für mich also kein positiv konnotierter Geruch. Würde man mir als Patientin ein beruhigendes Angebot mit Lavendel anbieten, würde ich wohl nicht entspannt in die Kissen sinken, sondern davon rennen – Hilfe!
Meine Erinnerungen teilte ich in diesem Kontext mit der Gruppe und gemeinsam mussten wir über diese Verknüpfung ausgiebig lachen. Die gemeinsam erzielte Erkenntnis brachte uns in unserer basalen Haltung weiter. Uns wurde bewusst, dass Gerüche ebenso individuell anzusehen und stark von Erfahrungen geprägt sind.
Diese Geschichte teile ich oft und gerne auch in meinem Unterricht. Und je mehr ich sie erzähle und darüber lachen muss, desto mehr wird mir Lavendel sympathischer. Denn mittlerweile denke ich beim Riechen von Lavendel nicht mehr an Ausscheidungen im Arbeitskontext der Pflege, sondern an das gemeinsame Lachen mit wertvollen Menschen. Geruchsvorlieben können sich also auch verändern und sensobiografische Daten sind daher nicht statisch. Wir entwickeln uns stetig weiter.
Für unsere basale Arbeit bedeutet dies: Immer der Nase nachgehen und neugierig bleiben! Mit diesem letzten Ratschlag «verdufte» ich mich hiermit und wir lesen uns wieder in einem Monat.
Text: Rena Ruedin
Quellen:
Bienstein & Fröhlich (2021). Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. Hogrefe.