Ein herzlicher Weihnachtsgruß mit Geschichte

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Wenn die Nacht spricht – Drei Geister, drei Erkenntnisse
Im Pflegeheim ist es ruhig geworden. Die Lichter sind gedimmt, die Gänge leer, nur das leise Summen des Kühlschranks und das regelmäßige Atmen der Bewohner:innen begleiten die Nachtwache.
Die Pflegefachperson Anna sitzt einen Moment leise im Aufenthaltsraum, eine Tasse lauwarmen Tees in der Hand. Die bisherige Schicht war fordernd, wie so oft.
Draußen fällt leise Schnee. Drinnen liegt eine besondere Stille in der Luft.
Und in dieser Stille geschieht etwas Unerwartetes.
Der erste Geist – Die Vergangenheit
Die Müdigkeit holt Anna ein. Für einen Moment schliesst sie die Augen – nur kurz, sagt sie sich. Der Stuhl ist warm, die Nacht ruhig. Und dann gleitet sie hinüber in einen Traum.
Sie steht in einem Raum, der zugleich vertraut und fremd wirkt. Sanftes Licht fällt von oben, als würde es von einer einzigen, ruhigen Flamme ausgehen. Vor ihr steht eine Frau. Aufrecht, ruhig, mit einem wachen, klaren Blick.
Anna erkennt sie sofort, ohne ihren Namen zu hören.
Florence Nightingale.
Nicht als Denkmal, nicht als Bild aus einem Lehrbuch – sondern als Frau aus Fleisch und Blut. In schlichter Kleidung, eine Lampe in der Hand. Das Licht ist warm, nicht grell. Es blendet nicht, es begleitet.
Florence spricht nicht. Sie tritt näher und legt ihre Hand auf Annas Unterarm. Die Berührung ist ruhig, tragend, sicher. Mit diesem Kontakt öffnen sich Bilder.
Anna sieht Pflege, wie sie einmal war – und immer war:
Hände, die bewusst hielten.
Ein gleichmässiger Druck, der Sicherheit schenkte.
Ein Körper, der sich entspannte, obwohl Worte längst nicht mehr verstanden wurden.
Sie erinnert sich an Momente, in denen Berührung mehr sagte als jede Erklärung. An Zeiten, in denen Nähe kein Zusatz war, sondern der Kern der Pflege. Florence lässt sie spüren: Der Körper vergisst nicht. Er erinnert sich an Achtung, an Zuwendung, an Präsenz.
Die somatische Wahrnehmung – Berührung, Druck, Umhüllung – war immer da.
Nicht nur als Methode.
Nicht nur als Technik.
Sondern ebenso als Haltung.
Florence zieht ihre Hand langsam zurück. Das Licht der Lampe wird leiser, sanfter. Ein letzter Blick – nicht mahnend, sondern bestätigend.
Dann ist Anna wieder wach.
Der Raum liegt unverändert vor ihr. Doch in ihren Händen ist noch immer Wärme.
Sie weiss jetzt: Was Pflege einmal getragen hat, liegt noch immer in ihren Händen.
Der zweite Geist – Die Gegenwart
Anna schreckt leicht auf, als das Rufsignal ertönt. Es ist 3 Uhr Nachts.
Sie steht auf und geht los. Die Gänge der Abteilung sind still, fast schwebend. Ihre Schritte hallen leise wider. Während sie geht, drängen sich Gedanken auf: Dienstpläne, die kaum mehr aufgehen. Sparvorgaben, die enger werden. Zeit, die immer knapper scheint. Pflege, die immer komplexer wird.
Alles ist in Bewegung. Und doch fehlt oft der Halt.
Sie öffnet die Zimmertür. Herr Jakob sitzt aufrecht am Bettrand. Ein älterer Mann, wach, angespannt, die Hände fest in die Bettdecke gekrallt. Seine Füsse suchen den Boden, finden ihn aber nicht richtig.
„Ich weiss nicht, wo ich bin“, sagt er leise.
Anna tritt näher. Sie spürt es sofort: die Unsicherheit, das innere Schwanken. Herr Jakobs Gleichgewicht ist gestört – körperlich, innerlich, existenziell. Er hält sich fest, weil alles andere ins Rutschen geraten ist.
In diesem Moment wird ihr klar: Herr Jakob symbolisiert den Geist der Gegenwart.
Er spricht nicht von Zahlen, nicht von Budgets, nicht von Strukturen. Und doch ist alles da. Die Folgen von Zeitdruck, von Reizüberflutung, von fehlender Orientierung. Menschen, die Halt suchen. Mitarbeitende, die ihn geben wollen – und dabei selbst balancieren.
Anna setzt sich zu ihm. Ruhig, bewusst. Sie gibt Zeit, wo kaum welche da ist. Sie hilft ihm, die Füsse auf den Boden zu stellen, benennt den Raum, die Nacht, den Moment. Schritt für Schritt kehrt etwas Ruhe ein.
Vestibuläre Wahrnehmung bedeutet Gleichgewicht, Orientierung, Sicherheit.
Herr Jakob braucht sie – jetzt.
Und Anna weiss: Auch sie braucht sie.
Pflege darf nicht nur funktionieren.
Sie muss tragen.
Rhythmus geben.
Verlässlichkeit spürbar machen.
Als Herr Jakob wieder liegt und ruhig atmet, bleibt Anna noch einen Moment bei ihm, hält seine Hand. Die Nacht ist immer noch leise und dunkel. Doch sie weiss nun:
Ohne Orientierung verlieren alle den Boden unter den Füssen.
Der dritte Geist –Die Zukunft
Anna schliesst leise die Zimmertür von Herrn Jakob. Sein Atem ist ruhig geworden, der Raum wieder geordnet.
Im Stationsbüro setzt sie sich an den Tisch und beginnt, den Bericht zu schreiben. Sachlich. Klar. Pflicht.
Als sie fertig ist, lehnt sie sich zurück. Für einen Moment bleibt ihr Blick an einem Regal hängen.
Dort steht ein Buch. Basale Stimulation – die Grundlagen.
Anna nimmt es in die Hand. Es ist kein neues Buch. Die Ecken sind leicht abgestossen, der Buchrücken mehrfach gelesen. Sie schlägt es auf – nicht suchend, eher lauschend. Ein leises Summen scheint im Raum zu liegen. Kein Geräusch, eher ein Gefühl.
Der dritte Geist ist da. Es ist das Buch, dass durch dessen Seiten spricht und Anna in ihren Gedanken erreicht. Wissen, das bleibt. Zukunft, die nicht erscheint, sondern zur Hand genommen wird.
Nicht als Gestalt. Nicht als Stimme. Sondern als Resonanz.
Als Erinnerung daran, dass Pflege Zukunft hat, wenn sie Sinn macht. Wenn sie Menschen erreicht, auch dort, wo Sprache nicht mehr trägt.
Vibratorische Wahrnehmung – Rhythmus, Schwingung, Resonanz.
Ein gemeinsamer Takt zwischen Begleitenden und Begleiteten.
Kleine Impulse, die innere Bewegung auslösen – selbst in einer Nacht um drei Uhr.
Anna versteht:
Basale Stimulation ist kein Zusatz.
Kein „wenn noch Zeit bleibt“.
Sie ist ein tragender Rahmen.
Ein Versprechen von Beziehung, Würde und Menschlichkeit – gerade dann, wenn Systeme unter Druck stehen.
Sie legt das Buch zurück. Nicht abgeschlossen, nicht erledigt.
Sondern bereit, zu inspirieren.
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Als Anna das Pflegeheim verlässt, liegt der Schnee unberührt auf den Wegen, dämpft jedes Geräusch. Der Himmel ist noch grau, doch am Horizont kündigt sich bereits der Morgen an. Im Bus setzt sie sich ans Fenster. Die Lichter ziehen langsam vorbei, draussen gleitet die Landschaft still durch die frühe Stunde. Die Müdigkeit ist da – aber auch etwas anderes: Klarheit.
Drei Begegnungen begleiteten sie während ihrem Nachtdienst an Heiligabend.
- Florence Nightingale, die sie an den Ursprung erinnerte:
daran, dass Pflege immer beim Menschen beginnt – und bei der Haltung, mit der Hände berühren. - Herr Jakob, der ihr die Gegenwart zeigte:
wie sehr Menschen Halt brauchen in einer Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist – und wie sehr Pflegende diesen Halt selbst suchen. - Und das Buch, still im Regal, das von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sprach:
von Basaler Stimulation als gewachsenem Wissen, das im Heute trägt und den Blick auf eine menschenwürdige, zuversichtliche Zukunft der Pflege offenhält – auch unter Druck.
Anna denkt:
Dort, wo Menschen wahrgenommen werden, entsteht Vertrauen.
Dort, wo Sinne bewusst angesprochen werden, wächst Beziehung.
Und dort, wo Haltung bleibt, entsteht Hoffnung.
Inspiriert von Charles Dickens’ «A Christmas Carol» – einer Geschichte, die seit über 180 Jahren daran erinnert, dass Veränderung möglich ist, wenn wir bereit sind, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewusst zu betrachten.
Bildquelle: Chat GPT AI generated


