Taktil-haptische Erfahrungen: Wie wir uns ohne Worte begegnen.

Published On: 27. Oktober 2023|

«Das geht Hand in Hand.»

«Menschen die das Herz berühren.»

«Im Handumdrehen.»

«Etwas mit Kusshand annehmen.»

Diese bekannten Redewendungen und viele mehr sind in unserem Sprachgebrauch fest verankert. Sie verdeutlichen spielerisch, wie der taktil-haptische Sinn im Alltag Orientierung bietet, Gefühle vermittelt und/oder eine Haltung preisgeben kann. Die Hände spielen dabei eine zentrale Rolle.

Blicken wir aber ganz kurz auf die wichtigsten theoretischen Hintergründe:

Wir haben von alltäglichen Objekten in unserer Welt Greifbilder. Wir umfassen blind einen Schlüssel, fühlen diesen in unseren Händen und wissen genau, worum es sich handelt. Unsere taktile Wahrnehmung arbeitet mit Greiferfahrungen und Greifbildern. Unsere Hände sind dabei meist aktiv. Die taktile Fähigkeit, Strukturen und Formen zu erfühlen, ermöglichen uns eine aktive Auseinandersetzung mit einem Gegenstand. Das Erfühlen unserer Umgebung ermöglicht aber auch die Förderung der Selbstwahrnehmung. Informationen über sich selbst und die unmittelbare Umgebung geben Orientierung. Ist dieser Sinn eingeschränkt, z.B. bei Immobilität, kann es zu einer Habituation kommen. Ein Realitätsverlust kann eintreten. Der Mensch sehnt sich dann nach Berührungsreizen, um Orientierung zu erhalten (Bienstein & Fröhlich, 2021).

Passend dazu möchte ich euch ein von mir erlebtes taktil-haptisches orientiertes Erlebnis erzählen.

Es handelt sich dabei um eine Pflegebegegnung, bei der alle Personen anonymisiert wurden: Herr Kopp war stets ein ruhiger Mann. Sein Blick war oft gesenkt und die Hände ineinander gefaltet. Er sprach nicht viel und ging auch nicht aktiv auf andere Menschen zu. Seine Demenz hat ihm die Sprachgewandtheit gestohlen und deswegen zog er sich stark zurück. Physisch und psychisch. Er schämte sich für jedes falsche Wort und wollte keine Last für sein Umfeld sein. Somit war es um so wichtiger, gezielte Begegnungen mit ihm zu gestalten. Dies mit einfachen Worten, viel Mimik und Gestik. Was er sehr schätzte, waren sanfte Berührungen am Rücken, am Arm oder aber auch eine freundschaftliche Umarmung. Sein Blick wurde dann immer erhobener, freundlich und strahlend. So bot ich ihm eines Morgens eine atemstimulierende Einreibung an. Dies mit dem Ziel sein Bedürfnis nach Nähe, Austausch und Beziehungsaufnahme mit dem Aussen zu ermöglichen. Während dem Angebot lief leise Entspannungsmusik. Der Raum war wohlig eingerichtet und warm. Herr Kopps Sitzposition war bequem und die Berühungen meinerseits rhythmisch und im Takt des gemeinsamen Atems. Nach der Einreibung legte ich ihm ein warmes Tuch über den Oberkörper, so dass er einige Minuten ausruhen und nachspüren konnte. Als ich wieder zu ihm kam, hatte Herr Kopp Tränen in den Augen. Es waren Tränen der Freude. Er bedankte sich für die wundervolle «Massage» und hatte dabei ein Lächeln im Gesicht. Um Austausch und Kommunikation zu ermöglichen, benötigt es nicht immer die verbale Sprache. Über unsere Hände können wir ebenso vielerlei Facetten unserer Gedankenwelt vermitteln. Gemeinsam in der Begegnung mit Achtsamkeit und Empathie.

Wer sich gerne mit dem Thema Berührungen im Zusammenhang taktil-haptischer Wahrnehmung noch mehr beschäftigen möchte, empfehle ich den Dokumentarfilm auf Arte mit dem Titel «Die Macht der sanften Berührung». = Link

Dieses und viele weitere Erlebnisse haben meine basale Arbeit im Kontext der taktil-haptischen Wahrnehmung geprägt. Somit wünsche ich euch viele «berührende» und «warme» Momente im nächsten Monat und verabschiede mich mit einem Lächeln: Bis zum nächsten Mal.

 

Text: Rena Ruedin

 

Quellen:

Arte. Die Macht der sanften Berührung. Abgerufen am 24.10.2023 in https://www.youtube.com/watch?v=rM93PSHxeC0

Bienstein & Fröhlich (2021). Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. Hogrefe.

Bild: Lizenzfreie Bilder Pixabay

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